"... warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!"

Was unterscheidet Faktenpauken von echtem Wissen?

Lieber Miko,

du hast noch Zeit, bis du in die Schule kommst, und das ist gut so! Denn wir haben damit ausreichend Gelegenheit, ein paar Dinge zu besprechen, die leider in der Schule heute auf die unglücklichste Weise gelehrt werden. Denn es werden (mit sehr, sehr wenigen Ausnahmen) bestenfalls Fakten vermittelt. Manchmal leider nicht einmal das, sondern etwas, was die Lehrer für Fakten halten, weil sie selbst es nicht gelernt haben, die richtige Frage zu stellen: Warum?

“Warum ist es so und nicht anders?”

Tatsächlich ist es im Studium heute so, dass diese Frage als unwissenschaftlich gilt. Es kommt darauf an, die richtige Antwort zu lernen auf bestimmte Fragen, so wie es “die Fachleute” herausgefunden haben. Woran man diese richtige Antwort erkennt? Sie stimmt mit den herrschenden Meinungen überein, welche die Wissenschaftler an den angeblich besten Universitäten vertreten. Doch warum diese “Fakten” richtig sind, ist damit nicht nur nicht gesagt, sondern es stört nur, wenn man diese Frage aufwirft.

Eine der bekanntesten Fragen ist natürlich die nach dem Ursprung des Universums Welt. Und da gilt es heute als “Fakt”, dass unser Universum “zufällig” aus dem Urknall entstanden ist. Warum das so sein soll und nicht anders, wird nicht gefragt, und nicht beantwortet. Ich halte das nicht einmal für einen Fakt, doch nehmen wir einmal an, es wäre so. Niemand (kaum jemand) hinterfragt das heute noch. Und darin liegt einer der Hauptgründe für die weit verbreitete Unfähigkeit, Wahres von Unwahrem überhaupt unterscheiden zu können.

Im Menon Dialog hat Platon beschrieben, was problematisch daran ist, Fakten zu lernen. Er spricht von der “wahren Meinung”.

“Was will ich denn nun damit klarmachen? Das Wesen der wahren Meinung. Denn auch mit den wahren Meinungen hat es keine Not, solange sie ausharren, und ihre Wirkungen sind durchweg gut. Aber lange Zeit auszuharren ist nicht ihre Sache, sondern sie entweichen aus der Seele des Menschen; sie haben also keinen rechten Wert, den sie erst dann bekommen, wenn man sie festbindet durch denkende Erkenntnis des Grundes. Das aber ist, Freund Menon, die Wiedererinnerung, worüber wir früher übereingekommen sind. Wenn sie aber befestigt sind, so werden aus ihnen erstens sichere Erkenntnisse und zweitens erhalten sie dadurch die Kraft des Beharrens. Und darum ist denn das Wissen von höherem Wert als die richtige Meinung und das befestigende Band ist es, was die Wissenschaft von der wahren Meinung unterscheidet.” — Platon, Menon Dialog, Kapitel XXXIX

Für Platon ist also das Auswendiglernen einer Meinung, das Nachplappern ohne zu verstehen, warum es so ist und nicht anders, ein großes Übel. Und Wissenschaft charakterisiert sich durch “das befestigende Band” der “denkenden Erkenntnis des Grundes”.

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, schlage ich vor, wir unterbrechen unseren Dialog hier einmal und du machst dich einmal daran, es durch “Wiedererinnerung” wie Platon es nennt, zu lernen.

Die unten stehende Aufgabe habe ich mir nicht selbst ausgedacht, sondern bei Platon entliehen. Es geht nun darum, das abgebildete Quadrat durch ein zweites Quadrat zu ergänzen, welches exakt die doppelte Fläche umfasst. Wir nehmen einmal an, dass eine Seite des Quadrats 2 cm lang sei. Wie konstruiert man ein zweites Quadrat mit exakt der doppelten Fläche? Und warum?

Du, lieber Miko, bist eine unsterbliche Seele, und mit etwas Überlegung wird dir sicher die Lösung für diese Aufgabe einfallen.