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"Nicht durch Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich die Kräfte des Menschen"
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"Nicht durch Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich die Kräfte des Menschen"

Warum Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn bis heute unverändert wichtig sind!

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Uwe Alschner
Nov. 10, 2024
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Lieber Miko,

Heute möchte ich dir und den mitlesenden Interessierten etwas zum Hintergrund erzählen, warum ich in der vorhergehenden Morgenstunde aus Gotthold Ephraim Lessings Stück “Nathan der Weise” zitiert habe.

Weithin bekannt ist, dass Lessing mit dem Stück seinem Freund Moses Mendelssohn ein Denkmal hat setzen wollen. Mendelssohn galt zu Lebzeiten als der “Sokrates aus Berlin”, war also für seine Weisheit und sein abgewogenes Urteil bekannt.

Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, ‘Lessing und Lavater besuchen Mendelssohn’ (1856)

Doch Nathan der Weise hat ebenso viel mit Lessing selbst und seiner Haltung zum Verhältnis von Glauben und Vernunft zu tun. Natürlich ist auch genau dieser Glaube an die kreative Vernunft als Ursprung und Grundlage der Schöpfung zugleich auch das Verbindende zwischen Mendelssohn und Lessing. Genau aus diesem vernünftigen Glauben resultiert ihre Freundschaft. Insofern ist auch das Stück Nathan der Weise eine Ermunterung der Öffentlichkeit (Publikum), sich mit dieser Idee zu beschäftigen.

Deswegen habe ich mich entschieden, den jüngsten Brief über Lessings Nathan an die Darstellung der Geometrie und der pythagoreeisch-platonischen Ideenlehre anzuschliessen.

Idee der Idee als Grundprinzip menschlicher Schöpferkraft

Idee der Idee als Grundprinzip menschlicher Schöpferkraft

Uwe Alschner
·
October 22, 2024
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Lessing und Mendelssohn waren in ihrem Denken Platoniker. Und auch wenn Platon ohne Pythagoras kaum denkbar war, so ist es doch auch angemessen, die nach ihm benannte Denkschule als Oberbegriff dieser Idee zu nehmen. Immerhin ist von Platon ein umfangreiches philosophisches Werk überliefert, aus dem ich hier in den Morgenstunden auch bereits des öfteren aus verschiedenen Dialogen zitiert habe.

Allen Platonikern sind mindestens zwei Dinge gemeinsam: Sie machen ihr Denken nachvollziehbar, indem sie die Quellen ihrer Idee offenlegen. Und sie gehen davon aus, dass der Schöpfer den Menschen nach seinem Vorbild geschaffen hat. Weil Gott ein gütiger Gott ist, ist demnach auch der Mensch von seinem Wesen gut.

Die Ur-Quelle ist für alle Platoniker der Schöpfergott, dessen Schöpfung sich dem Menschen durch Vernunft erschliesst. Damit unterscheiden sich die Platoniker von den Aristotelikern. Aristoteles gilt als Schüler des Platon, doch ist er eben gerade kein Platoniker, weil er unter anderem den Menschen als ein Geschöpf betrachtet, was weder gut noch schlecht sei, und was im wesentlichen von seinen sinnlichen Erfahrungen geprägt werde.

Du siehst, lieber Miko, Aristoteles und seine Nachfolger gehen nicht wie Platon davon aus, dass es die schöpferische Vernunft ist, die den Menschen mit Gott verbindet. Aristoteles geht so weit, dass er zwar die Existenz Gottes nicht abstreitet, dafür aber Gott als wirksame Kraft im Kosmos ablehnt. Für Aristoteles ist Gott das Wesen, welches die Welt geschaffen und in Bewegung gesetzt hat, aber danach diese Welt nur noch von außen betrachtet. Der unbewegte Beweger, wobei diese Bezeichnung “unbewegt” auch signalisiert, dass Aristoteles davon ausgeht, dass Gott egal ist, was mit seiner Schöpfung geschieht. Er ist auch emotional unbewegt, eben kein liebender Gott.

Vor diesem Hintergrund empfinde ich es als sehr unglücklich, Aristoteles als Schüler des Platon (und des Sokrates) zu bezeichnen. Aber davon vielleicht in späteren Morgenstunden mehr.

Für uns, unsere Beschäftigung mit Nathan, Lessing und Mendelssohn, ist es an dieser Stelle nur wichtig, dass Lessing und Mendelssohn in dieser Hinsicht Platoniker sind, die sich in dieser ungebrochenen Tradition der Rückbindung an Gott sehen. Ihr wichtigster unmittelbarer Vorläufer (also das jüngste Glied in der Kette der Ideen vor ihnen) war Gottfried Wilhelm Leibniz.

Über Leibniz gäbe es so unendlich viel zu berichten, dass ich Acht geben muss, mich (und uns) nicht zu verlieren. Für den Nathan ist Leibniz aber sehr wichtig! Daher gehe ich hier nur auf diesen Aspekt ein:

Der Nathan ist ein Bühnenstück, mit dem die Idee des liebenden Gottes in die Öffentlichkeit getragen werden sollte, unabhängig von einer bestimmten Religion. Genau das war auch Leibniz wichtig, und zwar deshalb, weil er überzeugt war (und alle Leibnizianer und Platoniker nach ihm), dass es das in der Schöpfung angelegte Prinzip der Gottesebenbildlichkeit ist, welches alle Menschen auffordert, die schöpferische Vernunft in ihnen zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen. Unabhängig von irgend einer Religion. Religion ist für Leibniz ganz allgemein kein hierarchisches System, sondern ein Programm: Die Rückbindung (re-ligare) an die schöpferische Vernunft, also an das Göttliche.

Darum geht es im Nathan. Und darum ging es auch Lessing und Mendelssohn in ihrem sonstigen Wirken.

Dieses gemeinsame Wirken begann im Jahr 1755 mit einer Verteidigung Lessings in der Öffentlichkeit.

Du fragst dich, lieber Miko, warum Leibniz verteidigt werden musste?

Nun, Leibniz war zu seinen Lebzeiten ein sehr bekannter Mann mit viel Einfluss auf zahlreiche Fürsten und Könige, die er ganz und teilweise von seiner Erkenntnis der kreativen Vernunft überzeugen konnte. Er hat insbesondere dazu beigetragen, dass viele Akademien der Wissenschaften eingerichtet wurden, damit dort die Wissenschaften vorangetrieben werden konnten, indem die Akademien als Orte des gedanklichen Austausches und der kreativen praktischen Vernunft fungierten.

Auf diese Weise wurde sehr viel Neues in den Wissenschaften entdeckt, was sich in der Verbesserung der Lebensbedingungen und der Produktivität der Menschen auswirkte. Auch in Preußen konnte Leibniz den späteren König Friedrich I. davon überzeugen, dass sein Land davon profitieren werde, wenn es eine Akademie einrichtet.

Auch in England gab es eine Akademie, die Royal Society. Diese wurde von einem Gegenspieler Leibnizes, Isaac Newton, geleitet. Die Idee Leibnizens von der kreativen Vernunft und Gottesebenbildlichkeit gefiel den Förderern der Royal Society gar nicht. Sie versuchten, Leibniz zu diskreditieren, indem sie behaupteten, er habe von Newton abgeschrieben, was eine absolute Lüge war. Hintergrund war wohl eher die Konkurrenz, welche die Englische Monarchie fürchtete, die sich ihr in der Welt bilden würde, wenn andere Länder sich im Sinne Leibnizens (und Colberts, seines französischen Förderers) zu mehr Produktivität entwickeln würden.

Um es abzukürzen: Zumindest in Preußen wurde die Akademie der Wissenschaften nach 1740 dazu benutzt, den Ruf von Leibniz zu beschädigen und die englische Kontrolle über die Wissenschaft mithilfe Newtons auszuüben. Im Jahr 1755 wurde dazu von der Akademie (unter der Führung von prominenten Gegnern der Leibnizianer) ein Wettbewerb ausgeschrieben. Dieser sollte dazu dienen, den Beweis zu führen, dass die Leibnizsche Philosophie “der besten aller möglichen Welten” nichts anderes sei als die Dichtung des britischen Hofdichters Pope.

Lessing und Mendelssohn verfassten daraufhin eine Verteidigungsschrift, die sie anonym veröffentlichten, und in der sie mit Wortwitz (Lessing) und philosophischer Exaktheit darlegten, dass die Philosophie von Leibniz, von “den Engländern” angegriffen, nicht mit Dichtung verwechselt werden kann, sondern vom ersten bis zum letzen Satz schlüssig ist.

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